KALKULIERTE KONFRONTATION
HERMANN GRÜNEBERG
DER KÜNSTLER Mit Dissonanz statt reiner Ästhetik, Instinkt statt Konformität befreit Hermann Grüneberg mit seiner lebendigen und skurrilen Bilderwelt die Ausdrucksform der Keramik von einengenden Konventionen. 1983 in Weimar geboren, absolvierte Grüneberg zunächst eine Holzbildhauerlehre, bevor er als Meisterschüler sein Studium an der Burg Giebichenstein Kunstschule Halle im Bereich Plastik/Keramik bei Prof. Martin Neubert (*1965) abschloss. Neben zahlreichen Auszeichnungen und Ausstellungen finden seine Arbeiten auch im öffentlichen Raum (Celle, Halle, Jena) weitreichende künstlerische Beachtung. Viele seiner Werke sind in privaten und öffentlichen Sammlungen wie der Kunstsammlung des Landes Sachsen-Anhalts vertreten. Hermann Grüneberg lebt und arbeitet in Halle an der Saale.
DAS MOTIV Spielerisch und mit abgründigem Humor setzt sich Grüneberg mit dem auseinander, was beunruhigt. Sein vielschichtiges OEuvre kreist um Tod, Leben, Gewalt, Hoffnung, Ausbeutung und Unterdrückung, aber auch um die Frage nach dem, was außerhalb möglicher Erfahrungen und wissenschaftlicher Erkenntnis liegt. Es sind existenzielle Themen, die er in ihrer Widersprüchlichkeit zeigt: fröhlich und tragisch, grotesk und ernst, surreal und symbolisch. Berührt vom Neoexpressionismus sowie der Art Brut und Pop Art, mischt Grüneberg aktuelle Themen mit zeitlosen Symbolen, Mythen, Kulturen, Philosophien sowie Religionen und erschafft unvermittelte Sinnbilder, die Raum für neue Wahrnehmung geben. Formal basieren die Keramiken Grünebergs auf zwei unterschiedlichen Ansätzen. Während er seine Figuren allansichtig formt, bieten ihm die Teller und Platten die Möglichkeit, Malerei und Plastik zu kombinieren.
DIE VERBINDUNG Trotz ihrer eng miteinander verbundenen Geschichte genoss die Keramik innerhalb der europäischen Bildhauerei lange Zeit eine deutlich geringere Wertschätzung als Marmor, Bronze und Holz. Mit der zunehmenden Befreiung vom Stigma des Kunsthandwerks erfuhr sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts wachsende Beliebtheit in der freien Kunst. Ernst Barlach setzte sich ab 1902 aufgrund seines Engagements bei den Keramischen Werkstätten der Familie Mutz sowie seiner Lehrtätigkeit an der Königlichen Keramischen Fachschule in Höhr intensiv mit den Gestaltungsmöglichkeiten des Materials auseinander. Während seine Arbeiten zunächst noch vom verspielten Motiv- und Formenvokabular des Jugendstils beeinflusst waren, gelang ihm 1907 auf der Berliner Secession mit den blockhaften und eindringlichen Steinzeugfiguren des Blinden Bettlers und der Russischen Bettlerin mit Schale der langersehnte künstlerische Erfolg. Ihre Würde wahrend bringen die Figuren die Realität der sozialen Härte sowie das Leid der an den Rand der Gesellschaft getriebenen Menschen zum Ausdruck, denen Barlach 1906 auf seiner Russlandreise begegnete. Während sich Ernst Barlach kurze Zeit später vom Steinzeug abwandte und nach neuen Wegen suchte, dient Hermann Grüneberg die Keramik mit ihrer Wandelbarkeit als ideales Ausdrucksmedium. Im Gegensatz zu Barlachs Steinzeugarbeiten schafft er Kunstwerke ohne jede Replikatfunktion. Mit ähnlicher Klarheit setzt sich auch Grüneberg immer wieder mit gesellschaftskritischen Themen auseinander. So befasst er sich in seiner Reihe Mission mit der Bildikonografie und dem kolonialen Erbe der Missionsbewegung. Barlachs und Grünebergs Arbeiten sind dabei weder politisch noch schockierend, vielmehr geht es ihnen um das Vordringen in seelische Bezirke.
(Christin Sobeck, Barlach Museen)